Bildunterschrift: Zu wenig Personal und viel zu viel zu tun: Wer im Job völlig überlastet ist und Fehler befürchtet, kann den Arbeitgeber mit einer Gefährdungsanzeige informieren.
Berlin/Seehausen. Viele Beschäftigte kennen sie nur zu gut: Tage, an denen die Arbeitsbelastung derart groß ist, dass einem alles über den Kopf wächst.
Wenn das jedoch zur Regel wird, quasi den Job-Alltag bestimmt, können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Gefährdungsanzeige stellen. Was hat es damit auf sich? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Eine Gefährdungsanzeige - was ist das eigentlich?
Mit einer Gefährdungsanzeige machen Beschäftigte den Arbeitgeber darauf aufmerksam, dass die von ihnen erwartete Arbeitsleistung in einer konkreten Arbeitssituation gefährdet ist und Schäden zu befürchten sind. Dazu zählen auch Schäden der eigenen Gesundheit. Gestellt werden kann eine Gefährdungsanzeige etwa auch bei Mängeln im Arbeitsschutz.
Für ihre Sicherheit und Gesundheit Sorge tragen - dazu sind Sie nach Paragraf 15 des Arbeitsschutzgesetzes nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, erklärt der Berliner Arbeitsrechtler Alexander Bredereck. Sind Sicherheit oder Gesundheit bedroht, müssen Beschäftigte zwingend den Arbeitgeber unverzüglich über diese Gefährdung informieren. Diese Mitwirkungspflicht ist in Paragraf 16 des Arbeitsschutzgesetzes verankert.
"Eine Anzeige schützt einerseits vor gesundheitlichen Schäden, andererseits vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen", sagt Kathrin Wiemann vom Institut zur Fortbildung von Betriebsräten (IFB) in Seehausen am Staffelsee. Oft wird sie in Bereichen gestellt, in denen es Fachkräftemangel gibt und der Arbeitgeber bestehende Aufgaben auf das vorhandene Personal verteilt. "Beispiele sind etwa Pflegeeinrichtungen, Kliniken oder Kindertagesstätten", so Wiemann.
Wie stellt man die Anzeige?
"Im Prinzip reicht eine E-Mail an den unmittelbaren Vorgesetzten", so Bredereck. Die Gefährdungsanzeige sollte schriftlich erfolgen, so Wiemann. Mitunter gibt es Mustervorlagen seitens des Betriebsrates.
Die Anzeige kann von einem einzelnen Arbeitnehmer gestellt werden, aber auch gemeinsam mit Kollegen. Sie erfolgt mit Datum und Namen der Betroffenen. Außerdem gehört die konkrete Schilderung der Situation am Arbeitsplatz dazu - und der jeweiligen Risiken.
"Wichtig ist auch zu schildern, was man selbst bereits unternommen hat, um die Situation zu verbessern", so Wiemann. In der Anzeige ist zudem ein Hinweis nötig, dass der Beschäftigte die Verantwortung für Fehler, die aufgrund der Überlastungssituation auftreten, ablehnt sowie arbeitsrechtliche Konsequenzen wie Abmahnung und Kündigung vorsorglich zurückweist.
Die Anzeige endet mit der Bitte um unverzügliche Abhilfe. Gibt es einen Betriebsrat, sollte dieser eine Kopie der Anzeige bekommen.
Wann macht es für Arbeitnehmer Sinn, sie zu stellen?
Unterlaufen Beschäftigten etwa bei Überlastung und Zeitmangel aufgrund von Personalengpässen schwerwiegende Fehler bei der Arbeit, kann das Folgen für den Betrieb, für Kunden, Lieferanten oder für Patienten haben. Falls es diesbezüglich zu einer Abmahnung oder Kündigung kommt, ist es für den Beschäftigten von zentraler Bedeutung, darauf hingewiesen zu haben, die Arbeit nicht zu schaffen. Eine Anzeige kann dann auch vor Schadensersatzansprüchen etwa seitens Kunden oder des Arbeitgebers schützen.
Wollen sich Beschäftigte gegen eine personenbedingte Kündigung wehren, die der Arbeitgeber ausgesprochen hat, nachdem sie lange wegen Überlastung krank waren und ausgefallen sind, ist sie - vorab gestellt - ebenfalls relevant.
Und auch wenn der Arbeitgeber von der Gefährdung nichts wisse, sei die Anzeige sinnvoll, so Bredereck. Das Unterlassen der Anzeige kann der Arbeitgeber sogar so auslegen, dass der Beschäftigte gegen seine Arbeitspflichten verstoßen hat. Auch das kann eine Abmahnung zur Folge haben. "Wenn die Arbeitnehmerin etwa feststellt, dass das Geländer der Büroterrasse defekt ist, muss sie den Arbeitgeber darauf hinweisen", nennt der Arbeitsrechtler ein Beispiel.
Wie muss der Arbeitgeber auf eine Gefährdungsanzeige reagieren?
Weil der Arbeitgeber gegenüber seinen Beschäftigten eine Fürsorgepflicht hat, sollte er eine Gefährdungsanzeige immer ernstnehmen. "Ansonsten kann dies für den Arbeitgeber weitreichende Folgen haben, bis hin zu Schadensersatzforderungen und Schmerzensgeld", erklärt Bredereck.
Konkret heißt das: Der Arbeitgeber sollte die gestellte Anzeige prüfen und Abhilfe leisten - beziehungsweise begründen, weshalb er das nicht tut.
Was ist noch denkbar?
Womöglich riskieren Beschäftigte bei der Überlastungsanzeige den Unmut des Arbeitgebers. "Der Arbeitgeber wird häufig genervt reagieren und behaupten, dass der oder die Beschäftigte die Arbeit vor allem deshalb nicht schaffe, weil er faul oder unfähig sei oder gar beides", so Bredereck. Das könne etwa zu Nachteilen beim innerbetrieblichen Aufstieg führen.
Beschäftigte, die einen Anlass für eine Gefährdungsanzeige sehen, sollten sich Bredreck zufolge aber nicht durch solche möglichen Risiken einschüchtern lassen - aus den genannten gesundheitlichen und arbeitsrechtlichen Gründen.
"Es ist Sache des jeweiligen Betriebsrats darüber aufzuklären, dass die Anzeige primär dem Schutz vor Konsequenzen dient", sagt Kathrin Wiemann. Hierzu gehöre auch, den Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit im Unternehmen einzubeziehen und die jeweilige Führungskraft zu sensibilisieren.
Wiemann verweist zudem auf das im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankerte Maßregelungsverbot (Paragraf 612a BGB): "Letztlich darf der Arbeitgeber einen Beschäftigten nicht benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt."
dpa